Aktuelles · Politik und Gesellschaft 21. April 2020 · HO

Kindergärten sind systemrelevant – nicht nur in Krisenzeiten

Heute ist weltweiter „Tag des Kindergartens“, der jährlich am Geburtstag des Reformpädagogen und „Vater des Kindergartens“ Friedrich Fröbel gefeiert wird. Wir führten ein Gespräch mit Dr. Gudrun Rannacher und Stefan Spieker, Vorstand des FRÖBEL e.V., über die Bedeutung des Kindergartens für unsere Gesellschaft.

Dr. Gudrun Rannacher und Stefan Spieker, Vorstand des FRÖBEL e.V.

Welchen Wert hat der Kindergarten für Kinder?

Dr. Gudrun Rannacher: „Der Kindergarten ist für die allermeisten Kinder die erste Bildungsinstitution, mit der sie in Kontakt kommen. Hier wird der Grundstein für die weitere Bildungsbiographie gelegt. Umso wichtiger, dass sie dort eine gute Zeit verbringen und kompetent begleitet werden, Freude am sozialen Miteinander erleben, sich ausprobieren und sein dürfen, wie sie sind. Darüber hinaus ist der Kindergarten für sehr viele Familien die erste Adresse, an die sie sich wenden, wenn sie in Schwierigkeiten geraten – Erzieherinnen und Erzieher gehören häufig zur erweiterten Familie.“

Stefan Spieker: „Der Kindergarten leistet einen erheblichen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit. Mit der Ausweitung des Rechtsanspruchs auch für Kinder unter drei Jahren hat die Bundesregierung dies noch einmal deutlich unterstrichen. Kinder aller Familiensprachen, sozialer Herkünfte und Weltanschauungen kommen hier zusammen und partizipieren gleichermaßen an der Förderung sozialer, motorischer und sprachlicher Kompetenzen.“

Was würde fehlen, würde es den Kindergarten nicht (mehr) geben?

Stefan Spieker: „Wir erleben ja gerade ansatzweise ein solches Szenario. Durch die COVID-19-bedingte Notbetreuung darf nur ein sehr kleiner Teil der Kinder den Kindergarten besuchen. Das bringt Familien und auch die Wirtschaft an ihre Grenzen."

Dr. Gudrun Rannacher: „Die unmittelbaren Folgen davon sehen wir aktuell, die längerfristigen sind noch nicht absehbar. Wir nehmen die Belastung vieler Familien wahr, deren Alltag sich abrupt geändert hat, die Kinderbetreuung neu organisieren müssen und dabei vielleicht um ihre Existenzgrundlage bangen. Unsicherheit und teilweise Orientierungslosigkeit ihrer Eltern geht auch an den Kindern nicht spurlos vorüber. Das gewohnte Familienleben wird auf die Probe gestellt, der Alltagsablauf und die Rollen gilt es im besten Falle gemeinsam neu zu justieren. Zu diesen Themen werden unsere Familienberatungsstellen in den letzten Wochen nun mehr als zuvor angefragt. Wichtig bleibt aber auch, dass sich Eltern auch in diesen Zeiten weiterhin vertrauensvoll an ihren Kindergarten wenden können. Unsere pädagogischen Fachkräfte nehmen in der Regel sehr früh wahr, wenn es Kindern und Familien nicht gut geht, suchen dann ihrerseits das Gespräch und vermitteln bei Bedarf Unterstützung.“

Stefan Spieker: „Ohne Kindergarten würden wir uns vom Ziel der Chancengerechtigkeit definitiv immer weiter entfernen – im Hinblick auf die Kinder, aber auch ihre Eltern. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wäre für viele Familien nicht mehr gegeben. Er ermöglicht insbesondere Frauen eine eigenständige Existenzsicherung durch Erwerbstätigkeit und berufliche Selbstverwirklichung – davon profitiert die gesamte Gesellschaft.“

Wofür möchten Sie dem Reformpädagogen Friedrich Fröbel zu seinem heutigen 238. Geburtstag danken? Formulieren Sie gern eine persönliche Botschaft.

Stefan Spieker: „Lieber Friedrich, Du hast einen Paradigmenwechsel eingeleitet – aus einer Verwahranstalt für Kinder hast Du den Kindergarten als Ort der individuellen Begleitung und freien Entfaltung für Kinder entwickelt. Du hast mit der 1850 in Bad Liebenstein gegründeten ersten „Schule für Kindergärtnerinnen“ den ersten Ausbildungsberuf geschaffen, zu dem auch Frauen Zugang hatten. Kindergärten sind heute eine tragende Säule der Gesellschaft. Dafür können wir Dir nicht genug danken.“

Dr. Gudrun Rannacher: „Lieber Friedrich, dein Bild vom Kind als positive und neugierige, eigenständige Persönlichkeit wirkt bis heute und entfaltete eine erhebliche Wirkung. So sprechen wir heute selbst über junge Kinder als Rechtssubjekte. Seit über 30 Jahren sind die besonderen Rechte von Kindern in der UN-Kinderrechtskonvention verankert, nächstes Ziel ist es, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern – leider ein längerer Prozess. Wir arbeiten gemeinsam mit vielen anderen weiter daran, versprochen.“