Aktuelles · Berliner Plenum Frühpädagogik · Berufliche Integration 19. September 2017 · HO

Konsens und Kontroverse

Berliner Plenum Frühpädagogik 2017 diskutierte die Rolle der Kita als Integrationsmotor – für Kinder, Familien und pädagogische Fachkräfte

Mit rund 200 Gästen aus Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Verbänden und sozialen Trägern war das 7. Berliner Plenum Frühpädagogik am 12. September 2017 in den Räumen des Deutschen Bundestags die bislang größte Veranstaltung in der Geschichte des Plenums. Das mag am hochaktuellen Thema gelegen haben, ebenso an den spannenden Gästen, die der FRÖBEL e.V. für die Veranstaltung gewinnen konnte: Marion Binder (Referatsleiterin im BMFSFJ), Ulrike Bahr (Kinderkommission des Deutschen Bundestages), Kirstin Fussan (Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie), Matthias Ritter-Engel (AWO Bundesverband), Martin Peters (Paritätischer Hamburg), Dr. Birgit Hoppe (Stiftung SPI) und als engagierte Stimme aus der Praxis Sabine Walkhoff-Reichel (FRÖBEL-Kindergarten "Benjamin Blümchen"). Moderiert wurde die Veranstaltung von Stefan Spieker, Vorsitzender des Vorstands des FRÖBEL e.V..

Thema des diesjährigen Plenums war die Rolle der Kita als Integrationsmotor für Menschen mit Fluchterfahrung – für Kinder und Familien, aber auch für pädagogische Fachkräfte, die im pädagogischen Berufsfeld in Deutschland Fuß fassen möchten. Die bisherige Erfahrung hinsichtlich der Integration von Kindern und Familien zeigt, dass „das System Kita bei der Bewältigung zusätzlicher Aufgaben trotz unzureichender Rahmenbedingungen funktioniert“, wie Matthias Ritter-Engel feststellte – allerdings werde dies auf dem Rücken der Fachkräfte ausgetragen. Schwierigkeiten entstünden  in erster Linie durch unzureichende Rahmenbedingungen, sprich zu wenig Personal.

Während Ulrike Bahr und Marion Binder als Vertreterinnen der Bundesebene die Wirksamkeit von Bundesprogrammen wie der temporären Förderung von „Sprach-Kitas“ lobten, wünschen sich Träger und Verbände dauerhafte und nachhaltige Maßnahmen – im Wesentlichen einen bundesweit gültigen angemessenen Betreuungsschlüssel und eine deutlich bessere Bezahlung pädagogischer Fachkräfte. Sabine Walkhoff-Reichel legte den Finger in die Wunde. Sie leitet eine Einrichtung in einer sozial schwachen Gegend in Potsdam mit insgesamt 236 Kindern vom Krippen- bis zum Hortalter, darunter 20 geflüchtete Kinder. Knapp 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind in ihrer Einrichtung beschäftigt, inklusive Hausmeister und Küchenkräfte bei täglich 11,5 Stunden Betreuungszeit. In Baden-Württemberg wären in einer Einrichtung mit diesem Profil etwa doppelt so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.

FRÖBEL als Träger von Einrichtungen in zehn Bundesländern bekommt diese ungleichen Rahmenbedingungen stark zu spüren und fordert gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Verbänden und der Wissenschaft (www.bag-bek.eu) seit Jahren ein wirksames bundesweites Qualitätsentwicklungsgesetz, das endlich für faire Bedingungen für pädagogische Fachkräfte sowie für länderübergreifend gleiche Bildungschancen für Kinder sorgt.

Kontrovers verlief die Diskussion über eine Vereinfachung der beruflichen Integration von pädagogischen Fachkräften mit Fluchterfahrung. Sie mündete in die Frage, ob eine Absenkung der Hürden für den Einstieg in den Erzieherberuf angesichts des Fachkräftemangels generell zu vertreten sei – eine Debatte, die nicht erst seit dem Zuzug geflüchteter Fachkräfte geführt wird.

Während Berlin im Herbst einen „Schulversuch“ startet, der laut Kirstin Fussan mittelfristig 100 geflüchtete Fachkräfte nach einer mehrstufigen Kompetenzfeststellung in den Erzieherberuf bringen soll, geht Hamburg schon seit Jahren neue Wege. So gibt es seit 20 Jahren ein spezielles Ausbildungsangebot für Migrantinnen und Migranten. Martin Peters vom Paritätischen in Hamburg berichtete von multiprofessionellen Teams und neuen Wegen, die gerade für die Ausbildung entwickelt werden – zum Beispiel ein E-Learning-Modell, das dem Erwerbsdruck und der Lebenswirklichkeit insbesondere von angehenden Fachkräften mit Familie besser gerecht wird und persönliche Hemmnisse für die Aufnahme einer Ausbildung absenkt. Auch Birgit Hoppe sprach sich für eine Öffnung der Ausbildung im Sinne der Gleichwertigkeit von Erfahrung aus, z.B. für Stadtteilmütter wie auch für Geflüchtete, die keinen formalen Qualifikationsnachweis vorlegen können. Kritik kam aus Berlin – Multiprofessionalität sei „keine Antwort auf den Fachkräftemangel“ und müsse „pädagogisch begründbar sein“, so Matthias Ritter-Engel. Die Diskussionsbeiträge aus dem Publikum stützten die Forderung, die Ausbildungswege zu überdenken, flexibler zu gestalten und mehr Praxisanteile zu integrieren, um jahrelanges „Trockenschwimmen“ zu vermeiden. Vielleicht konnte die „Tür Richtung Zukunft“ (Peters) ein wenig weiter geöffnet werden.

Das Schlusswort aus dem Publikum hatte Hanan Bahlul aus Damaskus, die seit drei Jahren mit ihrer Familie in Deutschland lebt. Sie wünscht sich grundsätzlich mehr Offenheit und Unterstützung für Menschen wie sie, die in Syrien bereits als Erzieherin gearbeitet hat und diesen Beruf auch in Deutschland ausüben will. Aufgrund von Sprachbarrieren und bürokratischen Hürden hatte sie es sehr schwer, überhaupt Zugang zu einer Ausbildung zu bekommen. Sie hatte Glück: Das Oberlin-Seminar in Berlin nahm sie als Schülerin auf, und sie absolviert derzeit als erste pädagogische Fachkraft mit Fluchterfahrung bei FRÖBEL ihre berufsbegleitende Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin. Hanan Bahlul kommt auch im Video „Berufliche Integration frühpädagogischer Fachkräfte“ zu Wort (hier zu finden: www.froebel-gruppe.de/berufliche-integration).

Für FRÖBEL ist das Ziel klar: Wir wollen das Potenzial nutzen, das geflüchtete Fachkräfte mitbringen – als Sprach- und Kulturvermittelnde sowie als fachliche und menschliche Bereicherung für unsere Häuser. Unsere zentralen Forderungen zur Förderung der beruflichen Integration haben wir in einem Forderungspapier zusammengefasst.

Weiterführende Links:

Video: "Berufliche Integration frühpädagogischer Fachkräfte mit Fluchterfahrung bei FRÖBEL" (Youtube)
Berufliche Integration bei FRÖBEL: www.froebel-gruppe.de/berufliche-integration-gefluechteter  
Forderungspapier "Berufliche Integration": www.froebel-gruppe.de/forderungspapier-berufsintegration


Der FRÖBEL e.V. bringt zu der jährlichen Veranstaltungsreihe "Frühpädagogisches Plenum" Fachleute aus Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Medien und Verbänden sowie die Träger der Kinder- und Jugendhilfe zusammen. Unser monatlich erscheinender Newsletter hält Sie stets auf dem Laufenden über aktuelle Veranstaltungen und Entwicklungen bei FRÖBEL – hier können Sie sich anmelden:
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Das 7. Plenum Frühpädagogik in Bildern