21. Februar 2022 · MB

"Unsere Familien spüren ganz genau, ob wir ihre Sprache wertschätzen"

Wie können wir unterschiedliche Familiensprachen in der Kita integrieren und alle Kinder sprachlich optimal fördern? Darüber sprechen wir mit der Kita-Leiterin Laureen Schiefelbein zum Internationalen Tag der Muttersprache.

Laureen Schiefelbein, Leiterin des FRÖBEL-Kindergartens Highdechsen in Berlin-Neukölln
Morgenkreis im FRÖBEL-Kindergarten Highdechsen (Foto: Bettina Straub)

In Sozialräumen, in denen viele Kulturen, Sprachen und Nationalitäten zusammenkommen, sind mitunter mehr als ein Dutzend Familiensprachen in einem Kindergarten vertreten. Wie es gelingen kann, Mehrsprachigkeit im Kita-Alltag zu berücksichtigen und alle Kinder gleichermaßen sprachlich zu fördern – darüber haben wir mit Laureen Schiefelbein, Leiterin des FRÖBEL-Kindergartens Highdechsen in Berlin-Neukölln, gesprochen. In ihrer Einrichtung haben 90 Prozent der Kinder eine internationale Biografie. 

Warum ist es Ihnen wichtig, die verschiedenen Familiensprachen der Kinder in den Kindergartenalltag zu integrieren?

Wir betreuen regulär rund 80 Kinder im Alter von acht Wochen bis Schuleintritt. 90 Prozent dieser Kinder haben einen Migrationshintergrund. Sie lernen Deutsch als Zweit- oder sogar als Drittsprache. Über gemeinsame Sprachen schaffen wir eine Möglichkeit der Identifikation. Wir geben unser Bestes, indem wir pädagogische Fachkräfte einsetzen, die die Sprachen der Kinder weitestgehend abdecken. Das klappt natürlich nicht immer.

Uns ist wichtig, eine offene Willkommenskultur für alle zu schaffen. Wir wertschätzen die Familien- und die Herkunftssprachen aller Kinder, indem wir sie in unseren Alltag integrieren. Wir singen jeden Tag in vielen Sprachen. Wir zählen in den Sprachen der Kinder. Wir begrüßen die Kinder in ihren Sprachen. Regelwerke und Aushänge werden mehrsprachig erstellt. Das ist wichtig, um von Beginn an auch die Eltern zu erreichen. Sie merken nämlich ganz genau, ob wir ihre Sprache als Ressource wertschätzen, ob wir sie anerkennen, ob wir darauf Bezug nehmen oder nicht. Nur wenn sie spüren, dass wir es ernst meinen, öffnen sie sich uns gegenüber – und das ist die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Familien.  

Sie haben eingangs schon Beispiele genannt, wie sich die Sprachen der Kinder im Kita-Alltag wiederfinden. Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Das pädagogische Team wird regelmäßig dafür sensibilisiert, gewisse Regeln der Kommunikation zu wahren. Wir reflektieren immer wieder die Dialoghaltung unserer Pädagoginnen und Pädagogen und arbeiten gemeinsam daran, unser sprachliches Feedback und das Anregungsniveau zu erhöhen. Wir geben den Kindern viel Zeit, ihre Antwort zu formulieren.

Wir achten schon bei der Beschaffung von Materialien darauf, dass diese vielseitig einsetzbar sind, und gehen eher weg von speziellen sprachlichen Förderprogrammen. Unser Ziel ist, alle Kinder mit gutem alltagssprachlichem Input zu erreichen – und nicht nur eine kleine Gruppe.

Welchen Stellenwert hat das Vorlesen?

Vorlesen ist enorm wichtig, zumal Bücher durch andere Medien wie Fernsehen, Handy und Tablet immer mehr Konkurrenz bekommen. Gedruckte Sprache zu sehen, Assoziationen durch Bilder zu schaffen, ein Buch zu fühlen ermöglichen einen Einstieg in eine Geschichte und können die Fantasie der Kinder freisetzen.

In der sprachlichen Bildung ist nicht nur das Vorlesen eines der wichtigsten Themen, sondern auch in den Dialog mit den Kindern zu gehen, über das Vorgelesene zu sprechen und sich bis ins freie literaturgestützte Philosophieren zu bewegen. Das ist ungemein wertvoll und wortschatzerweiternd.

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Familien?

Die Elternarbeit ist definitiv einer unserer Schwerpunkte. Durch eine offene Haltung versuchen wir den Eltern respektvoll gegenüberzutreten. Natürlich stoßen wir mitunter auf sprachliche Barrieren. Es gibt Eltern, die über sehr geringe deutsche Sprachkenntnisse verfügen und deswegen gehemmt sind, mit uns zu kommunizieren. Wir laden Familien aktiv zum Gespräch ein und können sie in der Regel schnell davon überzeugen, dass wir uns trotz Sprachbarrieren verstehen werden. Eigentlich alle wünschen sich, dass ihr Kind bei uns im Kindergarten Deutsch lernen wird – dieses gemeinsame Ziel legt oft die erste Basis für eine gute Zusammenarbeit. Die Kinder lernen Deutsch übrigens meist viel schneller, als die Eltern sich das vorstellen können. 

Wir binden die Eltern ganz stark in die pädagogische Arbeit mit ein. Eine der größten Herausforderungen ist es, unser pädagogisches Konzept verständlich zu machen. Ich brauche in der Regel zu keinem Elternteil hinzugehen und zu sagen: Das ist unsere Einrichtungskonzeption, bitte lesen Sie die einmal durch und verstehen die. Das klappt nicht! Wir lassen die Eltern eigene Erfahrungen machen bei uns im Haus. Für uns ist es selbstverständlich, dass die Eltern beim Abholen noch eine Weile bei uns verweilen. Sie können zum Beispiel noch Zeit mit ihren Kindern bei uns im Garten verbringen. So sehen sie ganz genau, wie wir mit ihren Kindern kommunizieren. Sie sind aufmerksam, beobachten uns in der Interaktion. So machen wir unsere Konzeption greifbar und verständlich und so wächst die Zusammenarbeit.

Wie kann gute Kommunikation mit den Familien gelingen?

Transparenz ist das A und O. So hat sich über die letzten Jahre ein gutes Verständnis von unserer Arbeit entwickelt. Wir laden die Familien regelmäßig auf Feste und zu Feierlichkeiten ein. Normalerweise feiern wir jedes Jahr ein Lernfest. Das ist ein ganz besonderes Fest, zu dem wir nicht nur die Kinder, sondern ganz explizit die Eltern einladen, um in einem feierlichen Rahmen an unterschiedlichen Stationen zu erfahren, was und wie ihre Kinder hier lernen. So stellt jede pädagogische Fachkraft ein bis zwei Stände mit kleinen Projektarbeiten und Ausschnitten aus der pädagogischen Arbeit vor. Dann erleben die Eltern genau das, was die Kinder hier erleben, können an verschiedenen Angeboten teilnehmen. Dabei reden wir mit ihnen genau so, als würden wir gerade mit einer Gruppe von Kindern sprechen. Wir lassen sie die gleichen Erfahrungen machen wie ihre Kinder hier im Haus. Das schafft Vertrauen.

Am wichtigsten ist es aber, alle Familienmitglieder - das betrifft auch Großeltern, Tanten und Geschwisterkinder - hier im Haus willkommen zu heißen. Selbstverständlich bekommt jede Person ein freundliches „Guten Morgen“. Manche werden geduzt, wenn es das Miteinander fördert – schließlich sind wir für viele Eltern, deren ältere Kinder wir bereits betreut haben, schon fast ein Teil der Familie!

Was wünschen Sie sich für jedes Kind, das Ihre Einrichtung besucht?

Wir möchten die sprachliche Kompetenz jedes Kindes auf ein Niveau bringen, das es in die Lage versetzt, sich mit dem Schuleintritt angemessen zu artikulieren, sich zu emanzipieren und Fragen stellen zu können. Die kindliche Neugierde und den Wissensdurst bringen alle Kinder mit. Aber nicht jedes Kind, das gut sprechen kann, ist auch bereits in der Lage, für sich einzustehen, verbal Grenzen zu setzen oder etwas kritisch zu hinterfragen oder mitzuteilen, wenn es etwas nicht verstanden hat.

Es ist eines unserer größten und wichtigsten Anliegen, dass die Kinder ihr Mitspracherecht – bei uns, in der Familie und später in der Schule – wahrnehmen. Dafür brauchen die Kinder über sprachliche Kompetenzen hinaus auch mentale Stärke, ein gutes Selbstwertgefühl und Mut. Dafür wollen wir sie stark machen.

Internationaler Tag der Muttersprache

Am 21. Februar 2022 wird der von der UNESCO im Jahr 2000 ins Leben gerufene Internationale Tag der Muttersprache begangen. Die UNESCO möchte damit die sprachliche Vielfalt weltweit und mehrsprachigen Unterricht fördern.

Mehr zu den Zielen und der Historie des Internationalen Tags der Muttersprache:
www.en.unesco.org/commemorations/motherlanguageda