Politik und Gesellschaft

Plenum Frühpädagogik 2023: Demokratiebildung in der Kita

Was können wir in unseren Kitas dafür tun, dass schon junge Kinder demokratische Werte als schützenswert erleben? Darüber diskutierten wir am 27. November mit rund 250 Gästen von Trägern, Verbänden, Verwaltungen, Stiftungen, aus der pädagogischen Praxis sowie aus Wissenschaft und Ausbildung im Jüdischen Museum in Berlin. 

Weltweit werden unsere Demokratien herausgefordert: Populistische Strömungen sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch und Politikverdrossenheit prägt ganze Landstriche. Können wir in unseren Kitas schon etwas dafür tun, damit Kinder demokratische Werte schon früh als schützenswert erleben? Wie können wir Kindern von Anfang an vermitteln, dass es wichtig ist, sich einzubringen und an der Gestaltung des eigenen Umfelds zu beteiligen? Wie funktioniert das und was brauchen pädagogische Fachkräfte dafür? Und was können Politikerinnen und Politiker eigentlich von Kitas lernen, wenn es um die Mitwirkung von Kindern im Alltag geht? Darüber diskutierten wir mit Fachleuten aus der Wissenschaft, der Politik und der Kita-Praxis beim diesjähigen Plenum Frühpädagogik zum Thema "Wie bildet man eine Demokratie? Mitwirkung von Kita-Kindern als Zukunftsaufgabe" im Jüdischen Museum Berlin. Auf dem Programm standen hochkarätige Impulsvorträge, interaktive Elemente, spannende Talks und inspirierende Praxisbeispiele.

Ist Demokratiebildung in der Kita nicht zu früh?

Eröffnet wurde die Veranstaltung in diesem Jahr von der Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), die auch direkt im Anschluss an der ersten Talkrunde zu Kinderbeteiligung in Kitas als Zukunftsaufgabe teilnahm. Sie sprach sich dafür aus, Kinderbeteiligung als festes Bildungsziel zu etablieren, und kündigte an, dass Demokratiebildung im Berliner Bildungsprogramm gestärkt wird - ohne die Einbindung der Eltern jedoch nicht umsetzbar sei. Die Talkrunde, neben der Bildungssenatorin besetzt mit Kathrin Janert, Vorständin Ev. Kirchenkreisverbands für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte-Nord, Michael Fritz, Vorstandsvorsitzender Stiftung Kinder forschen, und Fröbel-Geschäftsführer Stefan Spieker, war sich einig, dass Demokratiebildung selbstverständlich in der Kita beginnen muss. Janert betonte, dies dürfe allerdings nicht in "Pseudo-Partizipation", zum Beispiel der Wahl zwischen zwei von einer pädagogischen Fachkraft vorgeschlagenen Optionen enden. Kinder müssen ihre Wünsche frei entwickeln dürfen, um Selbstwirksamkeitserfahrungen zu machen. Und um die Toleranz, das Aushalten zu lernen, wenn nicht der eigene Wunsch umgesetzt wird. 

Die erste Saal-Abstimmung im Publikum brachte ebenfalls ein eindeutiges Ergebnis - 98 Prozent der Gäste sind der Meinung, dass mit der Vermittlung demokratischer Werte in der Bildungskette so früh wie möglich begonnen werden soll - also bereits in der Kita. Moderatorin Gesa Ufer formulierte daraus augenzwinkernd das Ziel der Veranstaltung, die 2 Prozent der Untenschlossenen zu "knacken". 

Impressionen vom Plenum Frühpädagogik 2023

Sind junge Kinder überhaupt schon politisch "bildbar"?

Die Impulsvorträge am Vormittag beschäftigten sich mit der Frage, inwieweit junge Kinder überhaupt schon politisch "bildbar" sind. Prof. Dr. Thomas Goll, TU Dortmund, stellte erste Ergebnisse aus zwei aktuellen Forschungsvorhaben vor: das Projekt Politik, Journalismus, Medien - Kompetenzen von Kindern im Vor- und Grundschulalter (PoJoMeC), das die Wirkung von Medien auf Meinungsbildungsprozesse von Kindern untersucht (vorgestellt in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins KINDgerecht), sowie das Projekt Demokratie-Facetten bei Kindern (DeFaKi). DeFaKi basiert auf der Annahme, dass ein wesentlicher Aspekt von Demokratie die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen sei und untersucht, ab welchem Alter Kinder bereits einen Konformitätsdruck mit der Mehrheit spüren, der ihre Entscheidungen beeinflusst. Tatsächlich beginnt dies im Alter von fünf Jahren, und die Entscheidung der pädagogischen Fachkraft hat einen besonderen Einfluss, was Erzieherinnen und Erzieher reflektieren sollten. Um der mit dem Alter steigenden Autoritätshörigkeit zu begegnen, muss außerdem untersucht werden, was Kinder befähigt zu widersprechen, um die relevanten Faktoren zu stärken. 

Sollte politische Bildung also doch erst in der Schule beginnen? Jasmin-Marei Christen vom Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) verneint, zumal es beim Übergang in die Grundschule zu einem Gap komme - Demokratiebildung finde dann zunächst kaum noch statt. Politische Bildung junger Kinder sei insbesondere eine Frage der Kompetenzen der Bildner:innen und der Rahmenbedingungen, nicht der Zielgruppe: "Die Hürden sind nicht bei den Kindern, sondern in den Köpfen der Erwachsenen", die sich politische Bildung häufig selbst nicht zutrauten. Ute Krümmel arbeitet als Projektleiterin Bildung für nachhaltige Entwicklung für die Stiftung Kinder forschen, die pädagogischen Fachkräften im Rahmen zahlreicher Fortbildungen genau diese Kompetenzen vermittelt. Sie skizzierte anhand konkreter Praxisbeispiele, welche Möglichkeiten es gibt, mit Kindern nachhaltiges Denken, Entscheiden und Handeln zu trainieren - ein Schlüsselthema ist der Konsum, der zahllose Ansatzpunkte für Gespräche und Projekte mit Kindern bietet. 

Was denkt das Publikum - wissen die Menschen in ihrem Umfeld oder in der Gesellschaft eigentlich, dass schon in Kitas Demokratiebildung stattfindet? Die überwältigende Mehrheit der Gäste glaubt, dass viele Menschen Kitakinder für zu jung halten. 

Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestags, hat ebenfalls eine klare Haltung zu dieser Frage - in ihrer Videobotschaft sagte sie: "Demokratie - damit kann man nicht früh genug anfangen - niemand ist zu jung für Demokratie." 

Mit Steinchen stimmten die Kinder ab...
...und zählten die Ergebnisse aus.

Aus Kindersicht: Wie steht es um die Mitbestimmung in ihrem Alltag?

Um die Perspektive von Kindern auf ihr Mitbestimmungsrecht in der Kita und in ihrem familiären Umfeld zu erheben, führten pädagogische Fachkräfte im Vorfeld des Plenums im Mannheimer Fröbel-Kindergarten am Pfalzplatz eine Umfrage unter mehr als 40 Kindern durch. Hier sind die Ergebnisse:

Warum findet ihr es gut, wenn Kinder in der Kita mitbestimmen können? (Auszug)

  • "Damit die Erzieher auch wissen, was sie machen müssen, damit der Wunsch in Erfüllung geht. Wenn die (Kinder) es nicht sagen, geht der Wunsch nicht in Erfüllung."
  • "Dass die (Kinder) mehr Spaß haben."
  • "Dann können alle Erzieher und Kinder genau gleich viel sagen, und dann gibt es auch nicht mehr so viel Streit."
  • "Weil man etwas will."
  • "Weil manche Kinder halten sich nicht an die Regeln, und dann entscheiden die Kinder auch die richtigen Sachen, was nicht stört oder nervt."
  • "Weil es dürfen ja nicht nur Große bestimmen, sondern auch Kleine."
  • "Weil vielleicht gefällt denen (den Kindern) was nicht."
  • "Weil die anderen Kinder und Erzieher dürfen nicht über die Kinder bestimmen."
  • "Weil es Spaß macht!"
  • "Weil wir mit den Sachen spielen, und die Erzieher spielen damit nicht."

Wem habt ihr schon von eurer Kinderkonferenz/eurem Ideenraum erzählt?

  • "Mama und Papa." (am häufigsten genannt)
  • "Oma und Opa." (mehrfach genannt)
  • "Ich habe meiner Mama erzählt, was ich mir wünsche, und dann hat sie geholfen, dass wir das bekommen haben."
  • "Ich habe zu Hause mit Mama einen Wunsch gemalt und den in den Kindergarten mitgenommen und dann in den Ideenraum mitgenommen."

Wer bestimmt in deinem Leben häufiger? Die Kinder oder die Erwachsenen?

  • "Die Kinder" (30 Stimmen)
  • "Die Erwachsenen" (14 Stimmen)

In der Kita dürft ihr mitbestimmen. Würdet ihr gerne auch woanders mitreden?

  • "Ja!" (40 Stimmen)
  • "Nein." (6 Stimmen)

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Eltern?

Dem "blinden Fleck" Zusammenarbeit mit Eltern, den Bindungssenatorin Günther-Wünsch in ihrer Begrüßung am Morgen angesprochen hatte, widmeten sich die Impulsvorträge am Nachmittag. Prof. Dr. Peter Cloos, Universität Hildesheim griff in seinem Vortrag das Elterngespräch auf, in dem pädagogische Fachkräfte und Eltern das Kind "entwerfen" - in dessen Abwesenheit. Untersucht wurden dafür Entwicklungsgespräche mit Eltern von Kindern mit Behinderung(en). Cloos plädiert für ein "Voicing", also Kindern auch in Elterngesprächen eine Stimme zu geben - dafür braucht es zum Beispiel einen "warmherzigen" Blick auf die individuellen Bedarfe und Bedürfnisse des Kindes, noch besser wäre die tatsächliche Anwesenheit des Kindes. 

Katharina Queisser, Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege, betonte in ihrem Vortrag, dass Eltern nur gute Bildungspartner für Demokratiebildung sein können, wenn sie demokratisch mit eingebunden werden. Die Bereitschaft von Kitas zu Transparenz und Elternbeteiligung sei sehr unterschiedlich, auch für Erwachsene sei Pseudo-Beteiligung frustrierend. Zugleich würde mehr Transparenz Kitas helfen, sich als Bildungsort zu etablieren. 

Die abschließende Umfrage im Auditorium zeigte, dass rund drei Viertel der Anwesenden durchaus der Meinung ist, dass Kinder an Elterngesprächen beteiligt werden sollten, denn nur so könnten sie ihre Wünsche und Bedürfnisse angemessen einbringen - eine sehr konkrete Empfehlung für die Gestaltung von Entwicklungsgesprächen in der Kita. 

Good Practice: Ideen für die Kitapraxis und Fortbildungsformate

Transferorientiert konnte sich das Publikum im Rahmen von fünf Good-Practice-Sessions sowieauf dem "Markt der Möglichkeiten" zu verschiedenen Projekten und Angeboten einen Eindruck von praktischer Demokratiebildung in Kitas machen. Insbesondere pädagogische Fachkräfte und Träger konnten sich hier von den Angeboten der Stiftung Kinder forschen sowie einem Büchertisch inspirieren lassen, den "Streitschlichterteppich aus dem Fröbel-Kindergarten Pfiffikus testen und sich über (digitale) Weiterbildungsangebote informieren. Außerdem wurde das Forschungsprojekt PIIQUE vorgestellt, das sich mit Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern im Kita-Alltag beschäftigt. 

Parallel zu den Sessions stellte Dr. Ane Kleine-Engel, Leiterin des ANOHA Berlin, das benachbarte ANOHA-Kindermuseum gegenüber des Jüdischen Museums mit einer Geschichte und Bildern vor, durch das den Gästen als besonderes Highlight mehrere Führungen angeboten wurden. Das ANOHA ist ein Ort, der mit Kindern für Kinder geschaffen wurde. Ein Ort, an dem sich Kinder aus unterschiedlichen Kulturen begegnen und vor allem Spaß haben. Das ANOHA ist offen für Kindergruppen aus Kitas und Schulen.  

Was muss sich in der Politik ändern - und was kann Politik von Kitas lernen?

Laut UN-Kinderrechtskonvention sind Kinder Träger spezifischer Rechte - allerdings nicht im Grundgesetz. Bianka Pergande, Deutsche Liga für das Kind, gab in ihrem Impulsvortrag einen Überblick zum aktuell problematischen Rechtsstatus von Kindern. So haben Kinder, Jugendliche und Familien durch den demographischen Wandel keine politische Mehrheit, es gibt eine hohe Kinderarmut und die Bekämpfung des Klimawandels wird verschleppt. Kinderrechte im Grundgesetz könnten z.B. den Weg ebnen für ein "Child Rights Budgeting", die Ausfinanzierung der Kinder- und Jugendhilfe erzwingen und Eltern würden gestärkt, im besten Interesse ihrer Kinder zu handeln und deren Rechte durchzusetzen. Abgesehen davon würde es für die Gesellschaft langfristig Folgekosten sparen. Aktuell gebe es allerdings keine Perspektive für eine solide Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. 

Auch deshalb gehen Fröbel-Kitas mit Politiker:innen in den Dialog, zum Beispiel im Rahmen des Projekts "Kinderrepublik Deutschland", vorgestellt von Uwe Adler, Mitglied des Landtags Brandenburg und Botschafter im Projekt Kinderrepublik Deutschland und Kathrin Hoffmann, Kita-Leitung im Fröbel-Kindergarten Am Volkspark. Im Abschlusstalk ging es denn auch darum, was Politik von Kitas lernen kann. Fröbel-Geschäftsführer Stefan Spieker hat darauf Antworten, zum Beispiel eine direkte Sprache und eine bessere Diskussionskultur. Er beklagte den mangelnden Entscheidungswillen in der Politik, zum Beispiel in Bezug auf das Bundesprogramm "Sprach-Kitas". Auch Anne Rolvering, Vorsitzende der Geschäftsführung bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, findet den "Blick in den Sandkasten" lohnenswert - und fragt sich, wo auf dem Weg von der Kita in die Gesellschaft demokratische Werte verloren gehen. Spieker schlägt vor, Kitas im öffentlichen Raum sichtbarer zu machen, öffentliche Plätze zu besetzen und zu bespielen - nach dem Vorbild Reggio Emilias. Damit Kitas als Bildungsorte in Gesellschaft und Politik endlich ernst genommen werden. 

Sollten wir auch außerhalb der Kita mehr Kinderbeteiligung wagen?

Zum Schluss wurde noch eimal das Publikum gefragt: Sollten wir auch außerhalb der Kita mehr Kinderbeteiligung wagen? Ausnahmslos alle Gäste sind am Ende der Veranstaltung der Meinung, dass unsere Gesellschaft davon insgesamt profitieren würde. Die Kinder im Mannheimer Fröbel-Kindergarten Am Pfalzplatz sehen das mehrheitlich ganz genauso. Der Auftrag an alle Erwachsenen ist also eindeutig - packen wir es an. 

So fanden unsere Gäste das Plenum 2023

Publikation

Begleitend zum 12. Plenum Frühpädagogik ist eine neue Ausgabe unseres Magazins KINDgerecht erschienen. Darin finden Sie Fachbeiträge von unseren Referentinnen und Referenten, Einblicke in die Forschung und in die Umsetzung der Kinderrechte in Kommunen sowie Praxisbeispiele aus Fröbel-Kitas. 

Unser Magazin können Sie hier als PDF herunterladen oder kostenfrei bestellen: 
KINDgerecht 2/2023: "Wie bildet man eine Demokratie?" 

Alle weiteren Ausgaben der KINDgerecht, unsere Themenhefte und Jahresberichte finden Sie in unseren Publikationen

Das 12. Plenum Frühpädagogik war eine gemeinsame Veranstaltung des Fröbel e. V., der Stiftung Kinder forschen und dem Berliner Trägerbündnisses Kita-Stimme.berlin. Wir bedanken uns bei allen Mitwirkenden und Teilnehmenden ganz herzlich. Das 13. Plenum Frühpädagogik findet im Herbst 2024 statt. Wenn Sie rechtzeitig über Thema, Zeit und Ort informiert werden möchten, schreiben Sie uns gern an veranstaltung@froebel-gruppe.de.

Fotos: Fröbel e.V./Stefan Specht