Digitale Medien 04. April 2023 · jmei

Wie gerecht ist die digitale Welt?

Haben alle Kinder die gleichen Chancen in einer digitalisierten Welt? Wie verändert die Digitalisierung überhaupt das soziale Gefüge unserer Gesellschaft? Jutta Croll ist Projektleiterin für Kinderschutz und Kinderrechte in der Stiftung „Digitale Chancen“ und erklärt im Interview, wie die Stiftung Fachkräfte, Kinder und Familien unterstützt.

Die Vermittlung von Medienkompetenz spielt in FRÖBEL-Einrichtungen eine große Rolle. © FRÖBEL e. V. / Fotografin. Franziska Werner
Jutta Croll ist Projektleiterin für Kinderschutz und Kinderrechte in der digitalen Welt im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. / Fotograf: Mark Bollhorst

Frau Croll, die Stiftung „Digitale Chancen“ hat als Leitthema „Digitale Integration“. Ist die digitale Welt gespalten?

Anlass für die Gründung der Stiftung war vor 20 Jahren die Beobachtung einer Spaltung. Während jüngere, gut gebildete und eher einkommensstarke Bevölkerungsgruppen sehr schnell den Zugang zu dem damals neuen Medium Internet gefunden haben, drohten andere von der Entwicklung abgehängt zu werden. Wir haben dem Phänomen der sogenannten digitalen Spaltung die digitale Integration als unser Ziel entgegengesetzt. Es geht darum, mehr Chancengerechtigkeit zu erreichen, sowohl hinsichtlich des Zugangs zu digitalen Medien als auch im Bezug auf die benötigten Kompetenzen im Umgang damit.

Was bedeutet das für Kinder?

Wir sehen eine zunehmende Entwicklung der Internetnutzung bei den jüngeren Kindern. Auch wenn in der miniKIMStudie 2020 rund zwei Drittel der Haupterziehungspersonen der Zwei- bis Fünf-jährigen noch angegeben haben, dass die Kinder in ihrer Verantwortung das Internet nie nutzen, wissen wir aus dieser Studie, dass in 100 Prozent der Haushalte Internetzugang vorhanden ist. Die Ausstattung mit Smartphone/Handy liegt bei 97 Prozent, genauso viele Haushalte, in denen Zwei- bis Fünfjährige leben, verfügen über einen Fernseher, 76 Prozent besitzen ein Tablet und 73 Prozent ein Streaming-Abonnement. Entscheidend ist, dass die Medienerziehung heute bereits im Kita-Alter beginnen muss, denn schon die Kleinen kommen im Alltag mit digitalen Medien in Berührung, sei es durch ältere Geschwister, die Zugang zum Internet haben, durch gestreamte Inhalte auf dem heimischen Fernseher, digitale Spiele auf dem Tablet oder Kommunikation per Videochat mit den Großeltern. Diese Lernmöglichkeiten sollten allen Kindern offenstehen, sie dabei zu begleiten ist Aufgabe der Familie und der frühkindlichen Bildungseinrichtungen.

Die Stiftung „Digitale Chancen“ möchte vor allem sozioökonomisch benachteiligte Kinder und Familien durch digitale Medien erreichen. Wie kann das gelingen?

Gerade für Kinder und Jugendliche, die in benachteiligenden Verhältnissen aufwachsen, spielen außerschulische Bildungsangebote eine große Rolle. Wir adressieren daher die pädagogischen Fachkräfte mit Train-the Trainer-Angeboten, um sie für die Aufgabe der Medienkompetenzvermittlung zu qualifizieren und bei der Kommunikation mit Familien zu unterstützen.
Die Allgemeine Bemerkung Nr. 25 über die Rechte der Kinder im digitalen Umfeld fordert die UN-Vertragsstaaten in Artikel 9 auf, gemäß des Rechts auf Nichtdiskriminierung sicherzustellen, dass alle Kinder gleichermaßen einen effektiven und kindgerechten Zugang zum digitalen Umfeld haben. Ein kindgerechter Zugang bedeutet hier auch, dass Kinder entsprechend ihrer Fähigkeiten in die Lage versetzt werden, digitale Medien zu nutzen.

Wie setzen Sie Ihre Themen in der Praxis für Kinder um?

Unsere Aufgabe ist es einerseits, die gesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung zu erforschen und gleichzeitig Maßnahmen für die verschiedenen Zielgruppen zu entwickeln. Im Rahmen der Initiative „Gutes Aufwachsen mit Medien“ arbeiten wir bundesweit mit lokalen Netzwerken zusammen, die Familien und pädagogische Fachkräfte erreichen. Das Projekt „Kultur trifft digital“ macht ebenfalls bundesweit Angebote für Kinder- und Jugendeinrichtungen. Auf spielerische Art und Weise können hier insbesondere wirtschaftlich schlechtergestellte und bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche Erfahrungen mit digitalen Medien in Praxisworkshops zu den Themen digitaler Sound, digitale Sprache, digitale Technik und digitale Realität sammeln. Im Projekt „Kinderrechte.digital“ geht es eher um die politischen Weichenstellungen auf europäischer und internationaler Ebene für eine kindgerechte Gestaltung des digitalen Umfeldes.

Welche Angebote haben Sie für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die pädagogische Praxis?

Das Initiativbüro „Gutes Aufwachsen mit Medien“ bietet regelmäßige Onlinekonferenzen an, in denen sich Fachkräfte der pädagogischen Praxis über Themen wie Jugendmedienschutz, Online-Games, inklusive Medienbildung, Umgang mit Fake-News, Demokratiebildung und vieles mehr informieren können. Das Projekt „Kinderrechte.digital“ stellt umfassende Informationsmaterialien zur Verwirklichung der Kinderrechte im digitalen Umfeld bereit. Hier liegt der Fokus auch darauf, das Potenzial digitaler Medien zu nutzen, um die Rechte von Kindern auf Zugang zu Informationen, auf freie Meinungsäußerung oder Vereinigung und Versammlung mit anderen jungen Menschen zu realisieren.

Wie können pädagogische Fachkräfte und Familien digitale Medien kindersicher machen?

Der Schutzbedarf hängt entscheidend vom Alter der Kinder ab. Für jüngere Kinder muss der Schutz vor ungeeigneten Inhalten und Kontakten gewährleistet sein, dabei kann auch Jugendschutzsoftware, die auf den Geräten installiert wird, zum Einsatz kommen. Ältere Kinder können lernen, wie man sich selbst schützt und wo man sich Hilfe holen kann, wenn es Stress im Netz gibt. Am „Zentrum für Kinderschutz im Internet“ haben wir das Modell des „Intelligenten Risikomanagements“ entwickelt, das entlang der Entwicklung der Kinder die Verantwortlichkeiten und Schutzoptionen aufzeigt.

Welche Rechte haben Kinder im digitalen Raum?

Die UN-Kinderrechtskonvention gewährt Kindern Schutz-, Befähigungs- und Teilhaberechte. Dazu gehören Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung, Recht auf Privatsphäre und Datenschutz, Recht auf Bildung, Recht auf freie Meinungsäußerung, Zugang zu Informationen, Recht auf Versammlung und Vereinigung und auf kulturelle Teilhabe. Heute werden diese Rechte von Kindern auch im digitalen Raum ausgeübt. Gerade in der Pandemie haben wir alle gesehen, wie wichtig es auch für Kinder ist, mithilfe von digitalen Medien den Kontakt zu Freunden und Familie aufrechtzuerhalten.
Der Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen hat dies mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 25 über die Rechte der Kinder im digitalen Umfeld erkannt und den Vertragsstaaten Verpflichtungen auferlegt, damit alle Kinder von den Chancen der Digitalisierung profitieren können.

Wie können Familien und pädagogische Fachkräfte die Rechte der Kinder im digitalen Raum schützen?

Dafür sind zwei Voraussetzung besonders relevant: ein Bewusstsein dafür, dass alle diese Rechte auch im digitalen Raum Geltung haben, und das Verständnis, dass Kinder nicht unterscheiden zwischen analog und digital. Im Gegensatz zu Erwachsenen, die ihre ersten Erfahrungen in der digitalen Welt überwiegend erst nach dem Teenageralter gemacht haben, wachsen Kinder heute von Beginn an in einer mediatisierten Welt auf. Das prägt ihre Verhaltensweisen in allen Bereichen, dies muss eine an der Lebenswelt von Kindern orientierte Pädagogik verstehen und berücksichtigen.
In unserem Projekt „Medienerziehung im Dialog von Kita und Familie“ haben wir einen Schwerpunkt auf die Kommunikation zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften gelegt, um einen Austausch zu diesen Themen zu fördern.

Wo findet man Hilfe, wenn Rechte offenbar missachtet wurden?

Es gibt in allen Bundesländern Ombudsstellen für Kinderrechte, an die man sich wenden kann. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Beratungsstellen, die vor Ort, per Telefon oder auch online Unterstützung bieten, zum Beispiel die „Nummer gegen Kummer“ die Beratung durch Jugendliche bei www.juuuport.de oder das Angebot www.jugend.support.

Vielen Dank für das Gesprach!

Der Beitrag erschien erstmalig im FRÖBEL-Magazin KINDgerecht „Kita digital – Digitalisierung in der frühen Bildung“ 2/2022. Das Magazin kann für Sie kostenfrei hier bestellt werden.