Kulturelle Bildung 16. November 2021 · BT

Gibt es eine Welt ohne „ich“?

Fachtag „Bilder von Kindheit“ im Humboldt Forum erkundet Erziehungstraditionen weltweit und diskutiert Chancen der Museumsarbeit mit Blick auf Kinder

Iman Andrea Reiman. Leiterin der "Regenbogen-Kidz" © Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Foto: David von Becker
© Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Foto: David von Becker

Ja, so beantwortete zumindest Prof. Hartmut Dorgerloh in seinen Eröffnungsworten die Frage nach einer Sprache und Welt, die kein Wort für „ich“ kennt. Der Versuch, eine andere Perspektive als die eigene einzunehmen, sei besonders hilfreich für das Verständnis anderer Kulturen und kennzeichne die Arbeit des Humboldt Forums – das ein Ort für Kultur und Wissenschaft, Austausch und Debatten sein möchte.

Diesem Ansatz folgten FRÖBEL und die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss mit der ersten Diskussionsveranstaltung zu kultursensitiver Frühpädagogik am 11. November. Mit dem interdisziplinären Fachtag „Bilder von Kindheit“ starteten beide Organisationen in die Zusammenarbeit zur Kulturvermittlung und kultureller Bildung in Kindertageseinrichtungen.

Zum Auftakt in den Werkräumen des Humboldt Forums trafen sich rund 50 frühpädagogische Fachkräfte, Kulturvermittlerinnen und -vermittler und Interessierte. Die Veranstaltung wurde moderiert von Kathrin Kollmeier (Stiftung Humboldt Forum) und Natalie Kronast (FRÖBEL).

Prof. Jörn Borke von der Hochschule Magdeburg Stendal stellte zu Beginn einen Forschungsansatz vor, der federführend von Prof. Heidi Keller (Universität Osnabrück) entwickelt wurde. Dieser definiert Familien über kulturelle Gruppen, die nicht identisch sind mit Nationalitäten, sondern sich über geteilte Werte und Erziehungsvorstellungen zuordnen lassen. Das Konzept liefert pädagogischen Fachkräften in der Praxis Ansätze und Möglichkeiten, ein besseres Verständnis für Familien und deren Kinder zu entwickeln und dies für die gemeinsame Erziehungsarbeit zu nutzen.

Wie vielfältig die Sichtweisen auf Kindheit und Erziehung weltweit sind, reflektierte Stefan Spieker, FRÖBEL-Geschäftsführer. FRÖBEL betreibt Kitas in Australien und Polen und hatte 2013 einen bilingual deutsch-türkischen Kindergarten in Istanbul gegründet. Darüber hinaus engagiert sich FRÖBEL international mit Kooperationspartnern für die Verbreitung frühpädagogischer Praxis – in der Ausbildung von Fachkräften und im Austausch mit Trägern, Bildungsunternehmen und Ministerien. Auch die eigenen Fachkräfte regt FRÖBEL dazu an, über den Tellerrand zu schauen. Als Partner von Erasmus+ sind allein bis 2022 über 60 Kita-Teams innerhalb Europas zum Austausch mit anderen Fachkräften unterwegs.

Im zweiten Teil der Veranstaltung standen Museen und Kulturorte im Mittelpunkt. Diskutiert wurde die Frage, welches besondere Potential sie bieten, um kulturelle Vielfalt zu vermitteln und den Umgang mit Irritationen zu lernen. Prof. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiß, Direktorin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, stellte praxisbezogen Grundsätze der kulturellen Vermittlung in der Museumsarbeit vor. Dabei können, so die Professorin, alle Formen und Arten von Kunst zum Gegenstand der gemeinsamen Zuwendung sein. Entscheidend sei, über Geschichten und möglichst haptische Erfahrungen einen Bezug zu den Betrachtenden herzustellen. Denn nur wenn das Interesse geweckt ist, entstehen Chancen für einen Lernprozess. Da Kunst(objekte) in allen Kulturen existieren und als Kondensate menschlicher Erfahrungen betrachtet werden können, sei kulturelle Bildung eine Art ästhetische Alphabetisierung – eine Einführung in unterschiedliche aber gleichwertige Zeichensysteme, so Reinwand-Weiß.

Iman Andrea Reimann, Leiterin des muslimischen Kindergarten „Regenbogen-Kidz“ und Mitbegründerin des „Drei-Religionen-Kita-Haus“ in Berlin, berichtete aus der zehnjährigen Arbeit mit kulturellen Einrichtungen in Berlin. Über die Begegnung und Auseinandersetzung mit Kultur – Oper, Theater, Museen, Galerien – erfahren die Kinder die Vielfalt der Welt und erleben kulturelle Orte oftmals auf andere Art als Erwachsene. In ihrem Vortrag betonte Reimann, wie wichtig es ist, den eigenen Blick zu weiten und offen zu sein, „auch wenn man unter sich ist.“

Das Fachforum bildete den Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen zum Thema Kulturelle Bildung für frühpädagogische Fachkräfte. Weitere Informationen und Einladungen zu den Veranstaltungen gibt es beim Humboldt Forum unter www.humboldtforum.org/de/programm und bei FRÖBEL unter www.froebel-gruppe.de/kulturelle-bildung.