Inklusion & Diversität 23. Februar 2023 · HO

"Inklusion gibt es nicht von der Stange"

Einrichtungen für alle Kinder und ihre Familien möchte FRÖBEL schaffen - seit Juli 2022 unterstützt Sandra Gaßen als Fachberaterin für Inklusion und Diversität dabei, dieses Ziel zu erreichen. Wir stellen sie im Interview vor.

Sandra Gaßen (43), Heilpädagogin, ist seit Juli 2022 im Rahmen eines zweijährigen Modellprojekts als Fachberaterin für Inklusion und Diversität tätig. Sie berät FRÖBEL-Einrichtungen in NRW. (Foto: Bettina Straub)

Einrichtungen für alle Kinder und ihre Familien möchte FRÖBEL schaffen – dies ist eins der wichtigsten strategischen Ziele, die wir uns für die Dekade 2020 – 2030 gesetzt haben. Seit Juli unterstützt Sandra Gaßen als zweite Fachberaterin für Inklusion und Diversität in Nordrhein-Westfalen dabei, dieses Ziel zu erreichen. Im Interview erzählt sie, wie eine inklusive Kita für sie aussieht und erklärt, wo sie bei der Beratung und Unterstützung der pädagogischen Teams in ihrer Region ansetzt. 

Frau Gaßen, warum leistet FRÖBEL sich eine zweite Fachberaterin speziell für die Themen Inklusion und Diversität? Was ist Ihre Aufgabe?  

Meine Kollegin und ich werden innerhalb der zunächst auf zwei Jahre angelegten Projektlaufzeit Strukturen und Arbeitshilfen etablieren, welche die Umsetzung inklusiver Pädagogik in unseren Einrichtungen erleichtern. Dabei geht es um alle Dimensionen von Vielfalt und Teilhabe, ob Kinder aus armutsbetroffenen Familien kommen, herausforderndes Verhalten zeigen oder ob es sich um Kinder mit einer diagnostizierten Beeinträchtigung handelt. Spezialisiert sind wir auf Sinnesbeeinträchtigungen des Sehens und Hörens. Ich bin mit einer gehörlosen Schwester aufgewachsen, daher bringe ich in diesem Bereich auch persönliche Erfahrungen mit.

Mit welchen Fragen wenden sich Kitas an Sie?

Wir werden hinzugezogen für spezifische Beratung und Begleitung, die über die reguläre Fachberatung hinausgeht. Die Themen sind ganz unterschiedlich. So begleiten wir zum Beispiel Eingewöhnungsprozesse von Kindern mit Seh- oder Hörbeeinträchtigung über einen längeren Zeitraum, bekommen aber auch fallspezifische Anfragen, zunehmend zum Umgang mit Kindern mit „herausforderndem“ Verhalten. Oft geht es auch um die Beantragung von unterstützenden Leistungen im Kita Alltag. Ausgehend von der Perspektive und Bedarfslage des Kindes und den strukturellen und personellen Ressourcen beraten wir jede Kita ganz individuell, die „Inklusions-Toolbox von der Stange“ gibt es leider nicht. 

In Kitas mangelt es oft an Zeit und Geld – wie können Fachkräfte Kindern trotzdem Teilhabe bieten?

Aus meiner Erfahrung geht es tatsächlich manchmal um die „kleinen“ Erkenntnisse. Viele Mitarbeitende haben – oftmals unbewusst – bereits sehr gute Lösungen gefunden, die wir im Rahmen von Reflexion oder Fallbesprechungen gemeinsam im Team herausarbeiten und etablieren können. Aber wir müssen uns auch eingestehen, wo die Grenzen einer Kita liegen und wir auf Netzwerke wie Frühförderstellen oder Logopäd:innen zurückgreifen können. Nichtdestotrotz müssen die personellen und strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Teilhabe langfristig gelingen kann.

Was macht eine inklusive Kita aus?

Bauliche Barrierefreiheit ist natürlich eine Voraussetzung, aber leider immer noch nicht überall gegeben. Ebenso wichtig ist eine inklusive, diversitätssensible Haltung des Teams. Dazu gehört ein hohes Maß an Flexibilität bei der Gestaltung des pädagogischen Alltags sowie der Wunsch und die Bereitschaft, sich themenspezifisch einzulesen und fortzubilden. Vor kurzem habe ich zum Beispiel eine Kita beraten, in deren Elternschaft ein Paar in Gebärdensprache kommuniziert. Das Team macht nun einen Gebärdenkurs und nimmt gemeinsam mit einem Gebärdensprachdozenten klassische Tür- und Angelgespräche in Gebärdensprache als Videosequenzen auf, um den Eltern zum Beispiel mitzuteilen „Ihr Kind hat Fieber“ oder „Bitte bringen Sie Wechselkleidung mit“.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Mein dringlichster Wunsch wäre, den inklusiven Gedanken auch auf gesetzlicher struktureller Ebene umzusetzen. Dies würde nämlich bedeuten, dass wir Kinder nicht durch eine Diagnose stigmatisieren müssten, um eine besondere Leistung – in unserem Fall mehr Fachkraftstunden – zu bekommen. Diversere Ausbildungsinhalte und mehr Geld für eine bessere Bezahlung der Fachkräfte sowie eine inklusive Ausstattung der Kita stehen auch auf der Liste. Das Geld sollte aber nicht aus „Sondertöpfen“ kommen – denn so selbstverständlich unsere Kitas heute die bunte Vielfalt der Gesellschaft abbilden, sollte auch die Finanzierung sein.

Alle sind dabei: Kinder rennen im Flur im FRÖBEL-Kindergarten Landsberger Straße, Münster

Inklusion und Diversität bei Fröbel

Unser erklärtes Ziel ist eine diversitätssensible und inklusive Haltung aller Beschäftigten bei Fröbel, sowohl in der Verwaltung als auch in unseren Einrichtungen. Es geht uns weniger um Perfektion als um die Wahrnehmung eigener Vorurteile oder blinder Flecken und um ein vertrauensvolles, fehlerfreundliches Wir-Gefühl in den Einrichtungen. Deshalb setzen wir auf die kontinuierliche Arbeit an unserer Haltung und auf den Transfer von Wissen, Erfahrung und gelungener Beispiele aus der Praxis.

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