Sprach- & Leseförderung · Bilinguale Erziehung 21. Februar 2023 · bt

Muttersprache ist Herzenssprache

Heute ist Internationaler Tag der Muttersprache. Gerade in Kitas kommen Menschen mit vielen verschiedenen Familiensprachen zusammen - wie sich trotzdem alle bestens verstehen, erklärt Alison Mannion-Ghanbari im Interview.

Alison Mannion-Ghanbari ist Referentin für Personalentwicklung und Interkulturelle Angelegenheiten.
Kinder im Kölner FRÖBEL-Kindergarten & Familienzentrum Wirbelwind (Foto: Boris Breuer)

Heute ist Internationaler Tag der Muttersprache Er wurde im Jahr 2000 von der UNESCO ausgerufen, um sprachliche und kulturelle Vielfalt zu würdigen. Gerade in Kitas zeigt sich heutzutage die große sprachliche Vielfalt unserer Gesellschaft. Darüber hinaus arbeiten rund die Hälfte aller Einrichtungen bei FRÖBEL mit einem bilingualen Konzept. Ziel ist es, Kindern einen guten Zugang zu neuen Sprachen zu ermöglichen und so Berührungsängste und Hürden für den Erwerb von Fremdsprachen abzubauen. Wie das im vielsprachigen Kita-Alltag gelingen kann, erläutert Alison Mannion-Ghanbari. Sie unterstützt bei FRÖBEL Teams in der bilingualen und interkulturellen Arbeit.

In vielen Kitas werden heute teilweise bis zu 20 Familiensprachen gesprochen. Wie lassen sich die vielen Familiensprachen der Kinder sichtbar machen?

Alison Mannion-Ghanbari: Das geschieht auf ganz vielfältige Weise. Die Kinder und ihre Familien werden immer dazu eingeladen, Bücher und Lieder in ihrer Familiensprache mitzubringen und mit den Kindern zu teilen. Es wird in verschiedenen Sprachen gesungen, es werden Traditionen, Rituale und Feste anderer Kulturkreise vorgestellt. Das setzt eine gute Zusammenarbeit mit den Familien voraus. Durch unsere offene Willkommenskultur möchten wir, dass Eltern sich mit ihrer Herkunft bei uns gesehen und wertgeschätzt fühlen. Und dabei spielt es keine Rolle, ob das die Zweitsprache der Kita ist oder eine völlig andere.

Welche Wirkung hat da ein bilinguales Erziehungskonzept?

Alison Mannion-Ghanbari: In unseren bilingualen Einrichtungen hat sich das Team auf zwei Einrichtungssprachen geeinigt. Das heißt nicht, dass alle weiteren Familiensprachen komplett ausgeschlossen werden. Aber zum Beispiel die Schilder der Einrichtung sind in den zwei ausgewählten Sprachen gestaltet und es gibt mindestens eine Fachkraft, die in einer anderen Sprache außer Deutsch mit den Kindern kommuniziert. Die Kinder erfahren, dass neben Deutsch grundsätzlich auch eine weitere Sprache, die rein rechnerisch in der Minderheit ist, gleichwertig behandelt wird. Diese Erfahrung können alle Kinder auf ihre eigene Lebenswelt übertragen. Dies stärkt das Selbstwertgefühl, denn Sprache macht einen Großteil der eigenen Identität aus. Muttersprache ist immer auch Herzenssprache. Entscheidend für alle weiteren Lernschritte ist, dass die Kinder eine erste freudvolle Erfahrung mit einer neuen Sprache erleben – ohne Druck. Man spricht in der Wissenschaft von „metasprachlicher Kompetenz“.

Warum kommunizieren nicht alle pädagogischen Fachkräfte in ihrer Erstsprache mit den Kindern?

Alison Mannion-Ghanbari: Doch, sie tun es, zum Beispiel mit Liedern, oder indem sie mit den Eltern sprechen. In der Bildungsarbeit mit Kindern, besonders in der frühen Bildung, bedarf es sehr guter Teamarbeit. Das erfordert viele Absprachen, das gleiche Verständnis von Situationen und Abläufen und Reflexionskompetenz. Das Team braucht schon eine gemeinsame Sprache – und dies ist Deutsch. Und zudem gibt es die Bildungspläne, die berechtigterweise eine Sprachbildung und Sprachförderung in Deutsch erwarten. Die Erfahrung zeigt, dass es eine lohnende Herausforderung für ein Team ist, überhaupt erst einmal mit einer Zweitsprache zu starten und diese alltagsintegriert zu praktizieren.

Wie läuft bilinguale Erziehung in der Praxis für die Kinder ab?

Alison Mannion-Ghanbari: Uns ist es wichtig, dass sie spielerisch in ihrem Alltag mit der Zweitsprache der Einrichtung in Kontakt kommen. Jede Fachkraft gestaltet den Alltag in ihrer Sprache und spricht mit den Kindern konsequent in dieser Sprache. Gegenüber Familienmitgliedern oder Kolleginnen und Kollegen kann die Verständigung auch in deutscher Sprache erfolgen. Die Kinder gestalten dabei selbst mit, wie viel Kontakt sie mit der fremdsprachigen pädagogischen Fachkraft haben und in welcher Sprache sie selbst mit ihr sprechen. Das bilinguale Erziehungskonzept ist nicht mit Sprachunterricht zu verwechseln. Aber dennoch lernen die Kinder erste Worte und haben Spaß dabei.

Was bedeutet das Bilinguale Erziehungskonzept für ein Team?

Alison Mannion-Ghanbari: Es bedeutet anfangs schon Arbeit – welche Situationen können gut in der Zweitsprache begleitet werden, wo muss optimiert werden. Dies gilt aber für alle Einrichtungen, wo es neue Teammitglieder oder neue Kinder gibt. Die Arbeit mit einem bilingualen Konzept lohnt sich doppelt! Jedes Teammitglied muss lernen, in agilen Prozessen zu denken. Es bedarf viel Flexibilität, Absprachen, Geduld, die Kraft mit Rückschlägen umgehen zu können. Dabei begleite ich die Teams. Mit Coaching, Workshops und fachlichen Arbeitskreisen nähern wir uns gemeinsam dem Ziel. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, was das Erlernen von mehreren Sprachen angeht, ist sehr wichtig. Vokabellisten zu lernen, Lieder auswendig zu lernen – das haben viele als Kind gemacht und dieses Gefühl, dass Bildung bedeutet, etwas vorzeigen zu müssen, ein Endprodukt zu wollen, das lässt einen manchmal schwer los.

Mehrsprachigkeit bei Fröbel

  • 89 Kitas arbeiten bilingual bei Fröbel
  • 189 pädagogische Fachkräfte arbeiten bilingual 
  • Mehrsprachige Kinder-Bücherboxen an 30 Standorten bundesweit: Ausleihe von Büchern in vielen Familiensprachen

Mehr unter www.froebel-gruppe.de/paedagogik/sprachbildung