Aktuelles · Menschen bei FRÖBEL 28. Mai 2019 · HO

Wenn das Exotische normal ist

Zum heutigen Diversity-Tag fragten wir FRÖBEL-Fachberaterin Domenica Licciardi, wie gelebte Diversity in Kindertageseinrichtungen gelingen kann.

Domenica Licciardi, Fachberaterin bei FRÖBEL in der Region Rhein-Ruhr

Eigentlich zielt die Charta der Vielfalt, in deren Rahmen der Diversity-Tag bereits zum 7. Mal stattfindet, auf ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld. Gelebte Diversity macht nicht an der Tür zum Teamraum halt - es ist eine Haltung, die im Idealfall im Team, im Umgang mit den Kindern sowie im Umgang der Kinder untereinander gelebt wird. Wie gelingt gelebte Diversity in Kindertageseinrichtungen, wie nicht?

Frau Licciardi, Sie sind Supervisorin, Mediatorin und Diversity Trainerin. Seit Juli 2018 unterstützen Sie FRÖBEL-Kindergärten in NRW als Fachberaterin. Was bedeutet Diversity für Sie?

Diversity bedeutet zunächst mal Vielfalt und Verschiedenheit. Im Alltag wird der Fokus oft auf die Vielfaltsaspekte wie ethnische Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Religion und physische Fähigkeiten (Behinderung) gelegt. Für mich ist wesentlich, dass zu diesen Aspekten eine armutssensitive und diskriminierungssensible Perspektive hinzugenommen wird, da diese u.a. auch einen Einfluss auf die Bildungsprozesse von Kindern haben und unser Ziel Chancengerechtigkeit und Partizipation zu gewährleisten ist. Letztlich etwas, was auch in der UN-Kinderrechtskonvention verankert ist.

Wie kann in Kindergärten Diversity gelebt werden, bezogen auf Teams, Kinder und Familien?

Durch die Etablierung einer Willkommenskultur, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bewusst gestaltet und wertschätzt. Mit Blick auf die Kinder und deren Familie könnte es bedeuten, die Repräsentanz ihrer Familienformen widergespiegelt zu finden, angefangen bei einer diversitätssensiblen Lernumgebung (vielfältige Bücher z.B. zu den Themen Kinder mit und ohne Behinderungen, aus Regenbogenfamilien, mit unterschiedlichen ethnischen Herkünften, vielfältige Materialien und Spiele) bis hin zur diversitätsbewussten Gestaltung der Interaktion (z.B. respektvolle Dialoge über Unterschiede, Unterschiede sachlich korrekt benennen usw.). Diese Aspekte finden sich auch in den FRÖBEL-Standards wieder.

Wirkt sich das tatsächlich auf den Umgang der Kinder untereinander aus?

Kinder, die einen wertschätzenden Umgang mit Unterschiedlichkeit erlernen, neigen weniger zu diskriminierenden Handlungen und erleben Vielfalt als Normalität. In einer diversitätsbewussten Pädagogik geht es darum, die Kinder in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zu unterstützen und zu fördern - fernab von gängigen klischeehaften Vorstellungen. Kindergärten bieten einen Rahmen zum grundsätzlichen Umgang mit Vielfalt. In der Praxis müsste überprüft werden, welche Punkte fokussiert und welche möglicherweise (unbewusst) ausgeblendet werden. Die Eltern als Expert*innen ihres Lebens müssen natürlich eingebunden werden.

Welche Anforderungen stellt Diversity an Teams?

Für die Teams bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Thema, den Umgang mit den Vielfaltsdimensionen im Team wie z.B multiprofessionelle, altersheterogene und soziokulturelle Zusammensetzung zu reflektieren und (weitere) sachlich-fachliche Kompetenzen zu erwerben. Eine reflektierte Haltung, die sich mit den eigenen inneren Bilder und Diversitätskonstruktionen beschäftigt, eignet man sich nicht nebenbei an. Für die kontinuierliche Reflexion bedarf es zeitlicher und finanzieller Ressourcen. Ich persönlich folge dem Leitsatz: "Nicht die Unterschiede sind die Herausforderung, sondern wie wir mit ihnen umgehen."

Wie sollte der Umgang mit Diversity nicht aussehen?

Aus meiner Sicht wird Diversity nicht gelebt, solange einseitige Zuschreibungen nicht in Frage gestellt werden und "folkloristische Einlagen" als Zeichen von Vielfalt gewertet werden. Vermeintlich "andere" Menschen sollen keinen Exotenstatus haben. Ich finde es zum Beispiel erfrischend, wenn ein türkeistämmiger Vater zum Sommerfest nicht Börek, sondern Pizza Margherita mitbringt oder eine Mutter mit iranischen Wurzeln den Kindern auf Kölsch vorliest, und sich niemand darüber wundert. Es gibt natürlich auch strukturelle Hemmnisse für gelebte Diversity, bauliche Barrieren zum Beispiel.

Kennen Sie ein Best-Practice-Beispiel aus dem Kitaalltag für eine besonders kreative/erfolgreiche Maßnahme?

In unseren Einrichtungen gibt es unzählige Momente von Vielfaltsaspekten, die mal offensichtlicher sind, z.B. ein guter Bücherbestand, gestaltete Familienwände oder visualisierte Kinderrechte, und mal eher "leise", z.B. ein mehrsprachiger Gruß zum Ramadan oder ein extra in den Niederlanden gekauftes Kleid für den Rollenspielbereich, auftreten. Hinter den kleineren und größeren Momenten steckt eine Haltung, die Wertschätzung ausdrückt und Kindern und deren Familien das Gefühl vermittelt "hier bei uns bist du richtig und wichtig - so wie du bist.

Gibt es ein Spiel oder ein Buch, das Sie besonders empfehlen können, um Kindern das Thema nahe zu bringen?

Empfehlen möchte ich gerne das "Familienspiel" (Verlag das Netz). Anhand von Bildpaaren werden unterschiedliche Familienformen, die es in unserer Gesellschaft gibt, dargestellt. Gemeinsamkeiten und Unterschiede können auf diese Weise unaufgeregt und an den Lebenswelten der Kinder orientiert einen Raum bekommen. Bei den Büchern gibt es mittlerweile einige sehr gute, die auf den Vorerfahrungen der Kinder anknüpfen und keine stereotypen und diskriminierenden Inhalte beinhalten. Besonders mag ich derzeit das Buch "Der Junge im Rock" von Kerstin Brichzin. Ein Plädoyer für Individualität und Mut, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und zu leben.