Aktuelles 20. Dezember 2017 · HO

Zwischen Elterngesprächen, "Sternstunden" und kleinen und großen Sorgen

In Schulen sind Sozialarbeiter*innen längst fester und wichtiger Bestandteil der pädagogischen Teams, in Kitas sind sie noch ein Novum – bislang gibt es nur regionale Initiativen, jedoch keinen Rechtsanspruch. Nadine Troschke (28) ist als Sozialarbeiterin im FRÖBEL-Integrationskindergarten Am Kulkwitzer See in Leipzig also eine Exotin. Wir haben sie gefragt, welche Rolle Sozialarbeit in der frühkindlichen Bildung übernehmen kann und wie Kindergärten davon profitieren können.

Frau Troschke, Sie sind seit einem guten Jahr als Sozialarbeiterin im Kindergarten beschäftigt – dadurch sind sie bislang recht einzigartig… Wie kam es dazu?

Über Umwege – eigentlich bin ich gelernte Erzieherin. Meine Ausbildung habe ich in Braunschweig absolviert. Durch mein Pflichtpraktikum im stationären Kinder- und Jugendhilfebereich entdeckte ich mein künftiges Berufsfeld, in dem ich acht Jahre gearbeitet habe. Um mich weiter zu qualifizieren, studierte ich nebenher Soziale Arbeit an der Fachhochschule Merseburg. Mein damaliger Träger konnte mir nach meinem Abschluss  jedoch keine Möglichkeit bieten, mich auch beruflich weiterzuentwickeln.

Ich hörte, dass FRÖBEL seine Mitarbeiter*innen bei ihrer beruflichen Weiterentwicklung sehr fördert, und so bewarb ich mich initiativ bei FRÖBEL in Leipzig. Es war ein glücklicher Zufall, dass FRÖBEL gerade für die Umsetzung des ESF-Projekts "Kinder stärken - Maßnahmen für Kinder mit besonderen Lern- und Lebenserschwernissen" auf der Suche nach einer Sozialarbeiter*in für das "Kulki" war. Für mich der perfekte Einstieg.

Was sind Ihre Aufgaben?

Laut Projektbeschreibung des Fördermittelgebers sollen die zusätzlichen Fachkräfte vier Aufgabenbereiche wahrnehmen: die individuelle Förderung von Kindern, Elternarbeit, die Stärkung des Teams sowie den Aufbau und die Pflege eines lokalen Netzwerkes. Ich sehe mich als Alltagsbegleiterin für die Kinder, denen ich bei Bedarf z.B. im Rahmen von "Sternstunden" in Absprache mit den Eltern und einer konkreten Zielvereinbarung individuelle Förderangebote mache, beispielsweise im motorischen oder naturwissenschaftlichen Bereich. Die Kinder fragen das mittlerweile von sich aus nach – neulich habe ich mit einer Kleingruppe von drei Jungen auf ihren Wunsch hin eine Murmelbahn gebaut.

Eltern mache ich niederschwellige Beratungsangebote zu Erziehungsfragen und helfe ihnen bei Bedarf auch im Umgang mit Behörden, dem Sozialamt oder dem Jugendamt. Ich stelle außerdem den Erstkontakt zu Institutionen her, vermittle Eltern dort hin, tausche mich fachlich mit anderen Sozialarbeiter*innen in Kitas aus, nehme an Helferkonferenzen teil usw. Darüber hinaus stehe ich in engem Austausch mit der Koordinatorin der Kompetenz- und Beratungsstelle für das ESF-Projekt und habe umfangreiche Dokumentationspflichten. Das ist sehr viel für eine Teilzeitstelle mit 30 Wochenstunden und der Bedarf ist natürlich stets größer als meine zeitlichen Kapazitäten… Aber gerade die Vielfalt der Aufgaben macht mir Spaß, und ich sehe oftmals sehr schnell tolle Erfolge!

Sie arbeiten im Gegensatz zu den Erzieherinnen und Erziehern in Ihrer Einrichtung gruppenübergreifend. Was bedeutet das für Sie?

Um im stetigen Austausch mit den Kindern und meinen Kolleg*innen zu bleiben, bemühe ich mich, tagsüber so oft wie möglich in den Gruppen zu sein. Die Mittagszeit ist zum Beispiel eine sehr gute Gelegenheit, um in informeller Atmosphäre Einblicke in die aktuellen Themen der Kinder zu bekommen oder zu erfahren, wo ich Kolleg*innen unterstützen kann.

Etwa alle sechs Wochen finden Dienstberatungen mit dem gesamten Team statt, die uns Raum geben für Austausch und Reflexion. In unseren Dienstberatungen gebe ich meinen Kolleg*innen regelmäßig Einblicke in meine Arbeit und stelle ihnen Projekte vor, die sie in den pädagogischen Alltag integrieren können, z.B. das "Du & Ich"-Projekt über Gefühle, die Bewältigung von Konflikten und ein soziales Miteinander. Vereinzelt kommen Kolleg*innen auf mich zu, die sich Beratung zum Umgang mit einer neuen oder herausfordernden Situation wünschen – mit ihnen vereinbare  ich einen individuellen Gesprächstermin. Stets "mit offenen Augen und Ohren" dabei zu sein, das ist eine wichtige Basis für meine Arbeit.

Wo sehen Sie die besondere Stärke von Sozialarbeit in der Kita?

Die Arbeit von Erzieherinnen und Erzieherin in Kindergärten geht heute weit über die pädagogische Arbeit hinaus. Der Bedarf der Kinder an individueller Förderung und der Bedarf der Familien an Beratung und Unterstützung übersteigt häufig die Ressourcen der pädagogischen Fachkräfte. Sozialarbeit gibt den pädagogischen Fachkräften die Möglichkeit, sich wieder mehr auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren.

Meine Kompetenzen als Sozialarbeiterin kann ich genau dann einbringen, wenn es um besonders herausfordernde Situationen geht, ein Kind spezifische zusätzliche (z.B. therapeutische) Unterstützung benötigt. Als zusätzliche Kraft mit sozialpädagogischem Hintergrund kann ich Eltern bei den vielfältigen Erziehungsaufgaben, die auf sie zukommen, intensiver und umfassender unterstützen, als die Erzieher*innen dies leisten könnten. Wenn Eltern es wünschen, bin ich  ihnen behilflich bei behördlichen Angelegenheiten, rege die Kontaktaufnahme zu geeigneten Stellen an und kann sie in Einzelfällen zu den jeweiligen Institutionen begleiten.

Natürlich braucht es oftmals Zeit, bis Eltern Vertrauen zu mir aufgebaut haben – und sie die Erfahrung gemacht haben, dass ich nicht "das Jugendamt" bin, von dem manche befürchten, dass es ihnen "ihr Kind wegnimmt". Das Angebot der Elternsprechstunde ist kostenlos und kann bei Bedarf auch anonym in Anspruch genommen werden. Ich bin außerdem eingebunden, wenn es um Fälle geht, in denen das Kindeswohl gefährdet ist. Dadurch kann ich sogar die Leitung entlasten.

Wie nehmen Ihre Kolleg*innen Sie wahr?

Ich erfahre eine große Wertschätzung durch meine Kolleginnen und Kollegen und durch die Leitung. Ich merke das in gemeinsamen Elterngesprächen, außerdem sprechen sie mich immer öfter bei Schwierigkeiten an und suchen frühzeitig meinen Rat, obwohl ich gerade erst ein gutes Jahr hier bin. Bei der letzten Dienstberatung meldeten sich Kolleg*innen zu Wort mit der Frage, ob das Projekt weiter bewilligt werde. Für mich ist das ein sehr positives Signal – offensichtlich hat das Team die Erfahrung gemacht, dass Sozialarbeit in der Kita eine wichtige Funktion einnehmen kann und alle davon profitieren.

Man merkt, sie wollen etwas – was haben sie als nächstes vor?

Erstmal freue ich mich, dass der Förderzeitraum für das Projekt nun bis 2020 verlängert wurde und ich bleiben und das Projekt weiter ausbauen kann. Meine Vision ist, dass Sozialarbeit fest im Kindergarten verankert wird, bundesweit und mit Rechtsanspruch. Ich beende gerade mein Masterstudium des Sozialmanagements an der Paritätischen Akademie mit einer Abschlußarbeit über Sozialarbeit im Kindergarten – was das bedeutet und wie sie dazu beiträgt, gleiche Bildungs- und Teilhabechancen für Kinder zu fördern. Mein Team und die Leitung habe ich schon überzeugt – gemeinsam mit 146 anderen Kita-Sozialarbeiter*innen in Sachsen arbeite ich daran, auch den Gesetzgeber zu überzeugen…

Insgesamt 147 Kitas in Sachsen werden seit Februar 2016 von der Europäischen Union und dem Europäischen Sozialfond (ESF) im Rahmen des Projekts "Kinder stärken - Maßnahmen für Kinder mit besonderen Lern- und Lebenserschwernissen" besonders gefördert. Zwei FRÖBEL-Einrichtungen in Leipzig nehmen an dem Projekt teil und können dadurch zusätzliche Fachkräfte mit jeweils 30 Stunden pro Woche beschäftigen. Dadurch profitieren der FRÖBEL-Integrationskindergarten Am Kulkwitzer See sowie das FRÖBEL-Kinderhaus Groß und Klein (GUK) von der Unterstützung durch jeweils eine Sozialarbeiterin. Ihre Aufgaben sind die individuelle Förderung von Kindern, Elternarbeit, die Stärkung des Teams sowie der Aufbau und die Pflege eines lokalen Netzwerkes. Die Förderung, die zunächst nur für zwei Jahre bewilligt war, wird nun bis Februar 2020 verlängert.
Mehr zum Projekt: www.kinder-staerken-sachsen.de/projekt