Erasmus+ 01. November 2024 · AL

„Die Haltung der pädagogischen Fachkräfte in Reggio Emilia – so inspirierend!“

Fünf Tage voller Inspiration erlebten rund 50 Fröbel-Beschäftigte vom 21. bis 25. Oktober 2024 in Reggio Emilia.

Im Innenhof vom Istoreco lernen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kennen, die aus ganz Deutschland kommen.

Von der beeindruckenden Raumgestaltung über die Rolle der Atelierista bis hin zu Gesprächen mit Fachkräften vor Ort – die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sammelten zahlreiche Erfahrungen, die sie nach ihrer Rückkehr in ihre Einrichtungen in Deutschland einbringen werden. Mit unserem Rückblick wollen wir unsere Erfahrungen und Eindrücke mit euch teilen.

Tag 1: Anreise

Am Montag machten sich insgesamt 50 pädagogische Fröbel-Fachkräfte aus ganz Deutschland auf den Weg in die norditalienische Provinzhauptstadt, um Reggio-Pädagogik vor Ort zu erleben. Bei einem gemeinsamen Abendessen lernten sich die Teilnehmenden kennen und tauschten in lockerer Atmosphäre ihre Erwartungen an den Aufenthalt aus.

Tag 2: Auf den Spuren der Geschichte

Das Programm startete am Dienstag im Istoreco, dem Institut für die Geschichte der Resistenza und Zeitgeschichte in Reggio Emilia. Seit 1965 betreibt das Istoreco historische Forschung über den Faschismus, den Zweiten Weltkrieg und den antifaschistischen Widerstand. Hier tauchten wir tief in die italienische Geschichte ein und lernten viel über die Widerstandsbewegung sowie den starken Gemeinschaftssinn, der die Bevölkerung von Reggio Emilia prägt. Frauen spielten im Widerstand - der Resistenza - gegen die deutsche Nazi-Besatzung und die italienischen Faschisten eine entscheidende Rolle. Als Stafetten führten Frauen illegale Boten- und Kuriergänge durch und transportierten so Lebensmittel, Munition und Nachrichten in die abgelegenen Regionen rund um die Stadt. Sie erlebten sich als starke und selbstwirksame Individuen und forderten nach Kriegsende mehr Selbst- und Mitbestimmungsrechte. Dieses politische Erwachen ist eng mit der Entstehung des Reggio-Ansatzes verknüpft. Nach der geschichtlichen Einführung erkundeten wir bei einem geführten Stadtrundgang die charmante Altstadt und ließen uns von den faszinierenden Geschichten der Vergangenheit mitreißen. Der historische Kontext machte deutlich, wie wichtig Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt für die Bevölkerung von Reggio Emilia sind – Werte, die auch in der pädagogischen Praxis der Reggio-Kindergärten eine zentrale Rolle spielen. Abends genossen wir zusammen die köstliche italienische Küche und bereiteten uns auf den nächsten Tag vor.

Tag 3: Zu Besuch im Internationalen Zentrum Loris Malaguzzi

Am Mittwoch besuchten wir das „Centro Internazionale Loris Malaguzzi“, das von der Stiftung Reggio Children betrieben wird. Hier begrüßte uns Valentina Viola, Fachberaterin bei Reggio Children. Das Zentrum Loris Malaguzzi ist ein Dokumentations- und Bildungszentrum zur Reggio-Pädagogik, das nach dem visionären Pädagogen Loris Malaguzzi benannt ist. Hier warten kreative Ateliers, ein großzügiger Veranstaltungssaal, eine umfangreiche Fachbibliothek, ein einladender Shop und eine gemütliche Cafeteria auf bis zu 130.000 Fachleute und Interessierte aus aller Welt!

Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Bildungssystem

Nach einem interessanten Einblick in das italienische Bildungssystem stellte Valentina die zentralen Werte und Prinzipien der Reggio-Pädagogik vor. So fiel uns im Zusammenhang mit der Dokumentation besonders auf: Während in Deutschland eher das individuelle Lernen eines Kindes im Mittelpunkt steht und dokumentiert wird, liegt in Reggio Emilia der Fokus auf der Beobachtung der Gruppe.

Das Bild des Kindes in der Reggio-Pädagogik

Im Mittelpunkt unseres Gesprächs stand das Bild des Kindes, das in der Reggio-Pädagogik eine zentrale Rolle spielt. Hier werden Kinder als neugierige Entdeckerinnen und Entdecker betrachtet, die mit Freude lernen und selbstständig entscheiden, womit sie sich beschäftigen möchten. Diese Haltung finden wir auch in Deutschland wieder: Die Partizipation der Kinder hat einen hohen Stellenwert in unserem Kita-Alltag.

Ein bedeutender Impulsgeber in der Reggio-Pädagogik ist Loris Malaguzzi. Er arbeitete eng mit der Gemeinde und vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere Frauen, zusammen, um ein Netzwerk von kommunalen Vorschulen und Kleinkindzentren in Reggio Emilia aufzubauen. In Malaguzzis Vision haben Kinder die gleiche Stimme und Stellung in der Gesellschaft wie Erwachsene – ein Gedanke, der die Haltung der pädagogischen Fachkräfte in Reggio Emilia bis heute prägt und inspiriert.

Das Atelier: Raum für Kreativität und Ästhetik

Neben den Selbstbildungsmöglichkeiten der Kinder legte Malaguzzi großen Wert auf ästhetische Bildung. Loris Malaguzzi erkannte, dass viele Erzieherinnen und Erzieher zwar mit Instrumenten und Werkzeugen der Kunst und Malerei vertraut sind, jedoch oft nicht wissen, wie sie diese mit Kindern einsetzen können. Aus diesem Grund führte er die so genannte „Atelierista“ ein – eine Fachkraft mit einem künstlerischen Hintergrund. Die Atelieristin ermutigt die Kinder, ihren eigenen kreativen Prozess zu entdecken und zu gestalten. Hierbei stehen das freie Experimentieren und Gestalten im Vordergrund: Die Kinder werden in ihrem Tun und Ausprobieren unterstützt. Mehrmals pro Woche haben die Kinder in den Kitas die Möglichkeit, sich im Atelier mit zahlreichen Alltagsmaterialien künstlerisch zu entfalten.

Das Atelier ist jedoch nicht nur ein Raum innerhalb des Kindergartens, sondern wird häufig nach draußen verlagert, um Naturerfahrungen einzubeziehen. So wird die Verbindung zwischen Kunst und Umwelt gestärkt und die Kreativität der Kinder auf vielfältige Weise angeregt.

Tag 4: Zu Besuch im Kindergarten

Nach dem intensiven Theorietag am Mittwoch ging es für uns endlich in die Praxis! Wir hatten die Gelegenheit, verschiedene Ateliers zu besuchen und die kreative Arbeit hautnah zu erleben. Eine Gruppe beschäftigte sich mit Tonerde und probierte unterschiedliche Methoden aus, die Tonerde zu bearbeiten. Hier stand eher der Prozess als das Endergebnis im Vordergrund. Eine andere Gruppe experimentierte mit Licht und Schatten, sodass spannende Fotos entstanden. Gleich zwei Praxisimpulse, die wir direkt mit nach Deutschland nehmen konnten.

Das Highlight des Tages war der Besuch der Krippe Rivieri und der Kita Tondelli. In den Einrichtungen konnten wir sehen, wie die Reggio-Pädagogik im Alltag gelebt wird. Hier steht ganzheitliche Bildung im Vordergrund. Die Räume sind ästhetisch und sinnesanregend gestaltet. Die Kinder können sich durch Materialien wie Spiegel und farbige Lichtquellen inspirieren lassen. Zahlreiche Alltags- und Naturmaterialien wie Papprollen, Wollreste, Korken, und Verpackungsmaterial bilden einen Großteil des kreativitätsfördernden Spielmaterials. An den Wänden hängen viele Wandtafeln, Dokumentationen und die kreativen Arbeiten der Kinder. So finden sich die Kinder in der Raumgestaltung wider, und auch die Eltern sind stets informiert, was ihre Kinder in der Kita alles erleben und gestalten.

Tag 5: Die ReMida, das kreative Recycling-Zentrum

Am letzten Tag unserer Studienreise besuchten wir die ReMida, das Zentrum für kreatives Recycling. Die Remida wurde 1996 als Umwelt- und Recyclingprojekt von der Kommune Reggio Emilia, von Reggio Children und dem regionalen Ver- und Entsorgungsunternehmen Enía (heute Iren), entwickelt. Die Remida steht für die Idee, dass ungiftige Produktionsmaterialien und -reste aus Industrie, Handwerk und Gewerbe wertvolle Ressourcen für kreativ-künstlerisches Arbeiten sein können. Dazu zählen zum Beispiel Folienstreifen, Papierabschnitte, Stanzbleche, Papprollen, Musterbücher, Stoffe, Fliesen, Verpackungen und vieles mehr. Kitas und Schulen können hier Materialien gegen einen geringen Mitgliedsbeitrag für die kreative Arbeit mit Kindern und Jugendlichen abholen. In der ReMida werden die Materialien ästhetisch präsentiert - wie in einer Ausstellung oder einer Boutique. Diese Präsentation fordert zum Neuentdecken und Zweckentfremden heraus.

Nach einem abschließenden Austausch über unsere Eindrücke und die Möglichkeiten, diese in die eigene Arbeit zu integrieren, traten wir am Abend bzw. folgenden Tag die Rückreise an.

Fazit

Die Studienreise nach Reggio Emilia war nicht nur lehrreich, sondern insgesamt auch sehr bereichernd. Wir konnten die Reise bestens nutzen, um tiefere Einblicke in die Reggio-Pädagogik zu gewinnen, uns zu vernetzen und auszutauschen. Mit den Ideen, die wir in Reggio Emilia gesammelt haben, können wir unsere pädagogische Praxis in unseren eigenen Einrichtungen nachhaltig bereichern und neue Impulse setzen.

Möglich gemacht hat diese ganz besondere Reise die Förderung über das europäische Austauschprogramm Erasmus+, über das wir bereits mehreren pädagogischen Fachkräften und Einrichtungsleitungen Auslandsaufenthalte und Hospitationen anbieten konnten.

Stimmen zum Abschluss der Studienreise

„Zum Ende der Studienreise gehen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ich habe erkannt, wie wichtig es ist, auf die kleinen Dinge im Alltag zu achten und sie größer werden zu lassen. Der Perspektivwechsel und die Augenhöhe mit den Kindern spielen dabei eine entscheidende Rolle.“
— Melanie A.

„Besonders fasziniert hat mich die Raumgestaltung in Reggio Emilia. Hier werden unterschiedlichste Materialien aus dem Alltag angeboten, und das alles kombiniert mit einem ausgeprägten ästhetischen Sinn, um eine einladende und vorbereitete Umgebung zu schaffen.“
— Ronja

„Was ich mitnehmen möchte, ist die Erkenntnis, den Kindern noch mehr die Freiheit zu geben, ihren Tag selbst zu gestalten.“
— Pauline

„Ich habe viele Inspirationen mitgenommen, um die Umgestaltung unseres Ateliers voranzutreiben. Außerdem habe ich gelernt, wie man Materialien unterschiedlich und attraktiv präsentieren kann, sodass die Kinder motiviert sind, neue Möglichkeiten zu erkunden.“
— Melanie T.

„Ich nehme mit, dass man aus den einfachsten Materialien die tollsten Welten erschaffen kann.“
— Franziska

„Was ich auf jeden Fall mitnehme, ist die Haltung der pädagogischen Fachkräfte hier vor Ort, die mit viel Liebe und Leidenschaft für ihre Arbeit dabei sind.“
— Marc

Fröbel ist für die Erasmus+ Förderperiode 2021-27 akkreditiert. Das Erasmus+ Programm ermöglicht Fröbel-Beschäftigten, sich mit Fachkräften innerhalb Europas auszutauschen, Neues zu lernen und die eigene Expertise weiterzugeben. Ganze Teams und einzelne Fachkräfte können in einer Kita in einem anderen Land hospitieren und freuen sich, andere Kulturen zu erleben. Fröbel steht im Gegenzug auch als Erasmus+ Partner für Besuche in Deutschland zur Verfügung.

www.froebel-gruppe.de/erasmus

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